Gestern war es also mal wieder so weit. Eine Mitgliederversammlung meines VfB stand an, dieses Mal so ganz ohne geschenktes Trikot und auch nicht im weiten Rund des Neckarstadions, sondern fernab in den Messehallen am Flughafen.

Obwohl die Fußballabteilung nicht mehr Thema dieser Mitgliederversammlung war, wage ich doch zu behaupten, dass die anwesenden 1473 Mitglieder nicht nur blühende Anhänger der u.a. in unserem Verein verbliebenen Faust- bzw. Schiedsrichterabteilung waren, sondern eben eigentlich doch wegen den Kickern des VfB Ihren Weg nach Stuttgart fanden. Dass natürlich bei weitem nicht 14.000 Mitglieder wie bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung im Juni dieses Jahres erschienen, war zu erwarten. 3% Anwesenheitsquote (1473 von  57 552, Stand Oktober 2017) zeigen aber für mich dennoch, dass die überwältigende Masse der Mitglieder des VfB Stuttgart eben nur Mitglied geworden ist, um die Chance auf eine Eintrittskarte für ein Topspiel (wahlweise gegen den BVB oder die Bayern) zu erhöhen, und nicht um sich aktiv mit dem Verein und seiner Entwicklung auseinanderzusetzen und im Extremfall sogar etwas beitragen zu wollen. Das ist für mich natürlich auch völlig in Ordnung, hätte es gestern nicht den Punkt 9.2 auf der Liste der abzunickenden Tagesordnung gegeben. Daher möchte ich Euch gerne ein wenig die gestrige MV aus meiner Wahrnehmung zusammenfassen:
Nach Entlastung derjenigen, die den Abstieg in Persona zu verantworten hatten, sollten u.a. Wahlen des neu geschaffenen Vereinsbeirats stattfinden. Dieser Vereinsbeirat ersetzt in Zukunft den bisherigen Aufsichts- bzw. Ehrenrat und dafür kann sich theoretisch jeder VfB Sympathisant aus „unterschiedlichen Stakeholdern (Fans, Gesellschaft, Verein)“ bewerben. Er wird dann vermutlich in einer ersten Runde zwar durch unseren Präsidenten aussortiert, kann es aber, wenn er Glück hat, auf eine der vorliegenden Listen schaffen.
Auf dieser vorausgewählten Liste finden sich dann z.B. Kandidaten, die sich in Ihrer Vorstellung als „in der Vereinsentwicklung aktiv, langer Kampf für die Stärkung der Mitgliederbeteiligung und das Aufbrechen interner Strukturen…“ zitieren lassen, zugleich bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung zur Ausgliederung aber den Antrag stellen, die gerade stattfindende Aussprache der Mitglieder vorzeitig zu beenden. Oder Professoren, die sicher rhetorisch und auf Ihrem Fachgebiet exzellent sind, und ja auch immerhin schon seit 2017 Mitglied des VfB sind und eben jetzt Lust verspüren, aktiv mitzuarbeiten. Sorry, die Vorauswahl und die Besetzung dieser Liste führen wieder ein Mal dazu, dass sich das gemeine Mitglied verwundert die Augen reibt und sich schließlich mit dem Vereinsbeirat ganz analog zum bisherigen Aufsichts- bzw. Ehrenrat ein Gremium bildet bzw. bilden wird, welches sich ganz natürlich zu großen Teilen aus dem „Netzwerk“ unserer Führungsriege zusammensetzt und man diese sogar ganz demokratisch von den Mitgliedern wählen lässt. So durchschaubar und doch so traurig, dass die große Masse sich von einfachen und plumpen Aussagen derart ködern lässt. Egal, ein paar aus meiner Sicht unakzeptable Kandidaten konnten dennoch abgewendet werden, aber in ein paar Jahren ist dieser Vereinsbeirat genau so wie der ehemalige Aufsichts- und Ehrenrat mit Buddys unserer Vereinsführung besetzt und geändert hat sich nichts, außer dass diese demokratisch (nach Vorauswahl) vom Volke gewählt wurden.
Irgendwann kam dann der für mich wichtigste Punkt zur Abstimmung „TOP 9.2: … zur Einführung der Möglichkeit zur Fernabstimmung“. Soll heißen jedes Mitglied solle von zu Haus im Vorfeld oder in nicht all zu ferner Zukunft vielleicht auch direkt während der MV per Brief oder eben online über Anträge auf der MV abstimmen dürfen. Die Argumentation, dass Kranke, Berufstätige oder Mitglieder, die nicht unmittelbar aus der Region sind, an der MV nicht teilnehmen können, aber gerne aktiv mitgestalten würden, kann ich nachvollziehen. Aber sind wir doch mal ganz ehrlich, nicht alle der 56079 gestern nicht anwesenden Mitglieder sind eben jener Gruppe der Kranken, Berufstätigen und nicht aus der Region Stammenden zuzuordnen. Es ist Ihnen vermutlich schlicht nicht wichtig genug, sich am Sonntag bei Schneetreiben auf die Mitgliederversammlung zu quälen. Und nochmal: Das ist auch in Ordnung, nur sollten dann meiner Meinung nach eben auch nur diejenigen, die auf der MV tatsächlich anwesend sind, die entsprechende Stimmhoheit über die Zukunft des Vereins haben.
Oftmals habe ich in letzter Zeit zu diesem Thema auch einen Vergleich zur Bundestagwahl gehört, und dass es eben dann Demokratie sei, wenn alle Berechtigten wählen dürfen und man aus diesem Grund die Briefwahl/Onlineabstimmung zulässt. Grundsätzlich teile ich dieses demokratische Argument, jedoch gibt es an entscheidender Stelle für mich einen nicht zu vernachlässigen Unterschied beim Vergleich der Mitgliederversammlung des VfB mit einer Bundestagswahl. Dieser Unterschied ist mit dem „Informationsmonopol“ des VfB Stuttgart gegenüber seinen Mitgliedern begründet. Im Vorfeld einer Bundestagswahl kann sich jeder Wähler über die Anliegen und Ziele der (etablierten) Parteien informieren. Zudem stellen „sachkundige Dritte“ (z.B. Journalisten, Politikwissenschaftler, etc.) zur Genüge Informationen bereit, die sich jeder anlesen, für sich entsprechend bewerten und somit eine informierte Wahlentscheidung treffen kann. Bei einer Mitgliederversammlung des VfB wäre genau diese Informationsvielfalt nicht der Fall so, da nur der VfB bzw. seine handelnden Personen die für ihn passenden Informationen über seine Online-Präsenz, etwaig durchgeführten Veranstaltungen, Mailings, etc. geeignet bei den Mitgliedern platzieren kann. Eine etwaige konträre Meinung anderer/aktiver Mitglieder kann von diesen in einer ähnlichen Prominenz höchstens direkt auf der Mitgliederversammlung platziert werden und entsprechend auch nur hier von den anderen Mitgliedern wahrgenommen und bewertet werden. Gestern hatte man z.B. gesehen, dass bei einigen Kandidaten für den Vereinsbeirat im Rahmen der Aussprache entsprechende Zweifel an Ihrer Eignung geäußert wurden, und die Mitglieder diese Information entsprechend bei der Wahl für sich bewertet haben. Daher ist es für mich elementarer Bestandteil der Mitgliedschaft beim VfB, dass wenn man sich an Entscheidungen zum Verein beteiligen will, diese Entscheidung im Rahmen einer Diskussion während der MV mitgefunden werden muss und daher entsprechend nur auf der MV eine Stimme abgegeben werden kann. Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass die MV auch online gestreamt werden könnte, so dass man "quasi" dabei ist, aber auch hier sollte jeder mal ehrlich sein und sich eingestehen, dass man während in einem Tab die MV vor sich hin rattert, man parallel auf Facebook scrollt, per Instagram ein Foto vom eigentlichen aktuellen primären Zeitvertreib postet und zudem nebenher noch twittert, dass man gleich seine Stimme abgeben soll, kaum so richtig bei der MV dabei ist, oder? Will heißen: Physische Präsenz ist eine ganz andere wie eine quasi physische (aka virtuelle) Präsenz auf der MV. Zudem hat bei einem Stream letztlich auch die den Stream durchführende Partei (hier unser VfB) das letzte Informationsmonopol, indem er beeinflussen kann, wie tatsächliche Stimmungen an der MV virtuell wahrgenommen werden.
Daher bin ich den Mitgliedern äußerst dankbar, dass sie die angestrebte Satzungsänderung zur Briefwahl erneut (nun zum dritten Mal) abgelehnt haben und hoffe, dass eine derartige Satzungsänderung nicht so schnell wieder auf dem Tableau steht, danke!

Allez VfB!