Wir schreiben den 2. Mai 2015, 17:14 Uhr:
Florian Klein netzt zum 3:2 für Schalke 04 ins eigene Tor und der VfB ist damit nach dem 31. Spieltag Tabellenletzter mit 27 Punkten und einer Tordifferenz von -22. Der Relegationsplatz ist bereits 3 Punkte und 11 Tore weg. Es helfen nur noch 3 Siege in den nächsten 3 Spielen! – Dann hätte man die von mir am Spieltag 28 prognostizierten 36 Punkte erreicht–

Mit diesen Gedanken ging ich am 2.Mai ins Bett, um am 4.Mai morgens im alltäglichen Wahnsinn der Büro-Maloche folgende Excel-Berechnung anzustellen:

  • Hatten wir doch in 31 Spielen ganze 6 Siege eingefahren, so schätzte ich die Wahrscheinlichkeit eines Sieg unseres VfB pro Spiel auf 6/31, also ganz knapp 20% ein.
  • Nimmt man nun zusätzlich eine gedächtnislose Wahrscheinlichkeitsverteilung unserer Siege an, und bestimmt damit die Wahrscheinlichkeit die nächsten 3 Spiele hintereinander alle zu gewinnen, so erhält man (6/31) * (6/31) * (6/31) = 0,0073. Also 0,7% oder für jeden Statistiker: Ein Ereignis, das statistisch gesehen weniger als 1 Mal in 100 Jahren auftritt.

Auf gut Deutsch: wie bei Gott soll es möglich sein, diese drei Siege einzufahren und damit die Klasse zu halten? Rational nicht möglich und auch rational nicht verständlich, warum doch alle Brustringträger der Cannstatter Kurve noch daran glaubten oder zumindest die Realität noch nicht erkennen wollten…
Aber genau das ist es eben was den Fußball ausmacht: Ein wenig (viel) Irrationalität gepaart mit dem Auftreten seltener Ereignisse beschreibt all jenes, was uns so viel Freude bereitet. Ich möchte Euch hiermit noch ein wenig auf meine Reise dieser 3 Abstiegsendspiele mitnehmen und ein kleines Résumé einer mal wieder denkwürdigen Saison ziehen.
Wir hatten Mainz, Hamburg und Paderborn noch vor der Brust, wobei Mainz sicher der leichteste Gegner war, da für die Meenzer die Saison so richtig gelaufen war und es für deren Kicker nur noch darum gehen konnte sich vor den Strandurlaub nicht mehr zu verletzen. Hamburg und Paderborn dagegen sollten (da mittendrin statt nur dabei) harte Schlachten werden, wo sich unsere Jungs und Ihren Charakter tatsächlich beweisen konnten. À propos verletzt: Daniel Didavi sollte wie schon im letzten Jahr für die letzten Spiele wieder fit werden und letztendlich wiederholt zum eigentlichen Match-Winner avancieren.


Teil 1, das Heimspiel gg. Mainz:
Die Cannstatter kurve hatte wie in den Spielen zuvor, alles aber auch alles in die Waagschale geworfen, um den Niedergang unseres VfB zu verhindern und bot auch gegen Mainz einen Sahneauftritt. Peitschende Gesänge, „Come on you boyz in white“ (so oder so ähnlich Lachend) und ein tobender Mob sowohl der Jungen als auch der Alten verhalfen schlussendlich dazu, dass man gegen Mainz den so wichtigen 3er einfuhr, damit man wenigstens noch eine theoretische Chance hatte, die Klasse zu halten. Der VfB war sichtlich bemüht und hatte durch Didavi den wohl stärksten Mann auf dem Platz (leider musste für ihn Maxim weichen, aber dazu später noch mehr). Nichtsdestotrotz hätte man gegen Mainz wohl nicht gewonnen, hätte man nicht mit deren gebürtigem Biberacher Keeper Loris Karius einen VfB-Fan zwischen den Pfosten gehabt, der einen satten Weitschuss von Dida einfach mal schleichen ließ! Dir, Loris, sei Lob, Preis und Dank! Deine Eltern sind sicher zu Recht stolz auf Dich!
Der zum Ende der Rückrunde bärenstark auftretende Kostic – ja ich hatte ihn schon sehr oft gescholten, erkenne aber auch an, dass er sich in der zweiten Hälfte der Rückrunde enorm gesteigert und gezeigt hat, warum er einer der besseren der holländischen Ehrendivise war – erlöste die VfB-Gemeinde dann mit der zweiten Bude und stellte den 2:0 Endstand her.


Teil 2, Heimspiel gegen den HSV:
Mann Mann, schon wieder wir und der HSV mittendrin. Und irgendwie auch mit ganz ähnlichen Voraussetzungen: Jahrelange Misswirtschaft, gepaart mit einem seltsamen Kader und nicht vorhandenen Identifikationsfiguren und schon gar nicht vorhandenem Konzept. Ich muss echt feststellen, beide Vereine schenken sich nicht viel, wobei man ehrlicherweise sagen muss, der HSV ist noch schlimmer als wir: Wen oder was haben die außer Uwe Seeler, Herman Rieger (Gott hab ihn selig) und diese verschissene Uhr im Volkspark? Richtig, außer einer satten Stadt, in der Sie zufällig kicken dürfen, gar nix. Witzfiguren als Vorstand oder Investor, Witzfiguren als Kicker: Man denke an Lachnummer Westermann, Möchtegern Beckham Diekmeier , Luftpumpe Lassogga, alter Mann van der Vaart und so weiter und so fort, einzig Kampfsau Olic ausgenommen. Und genau so traten sie gegen uns auch auf…
Ich hatte dieses Spiel vor dem Radio zu verfolgen und war angespannt wie selten. Bemerkte doch der geneigte „SWR1 Heute im Stadion“-Reporter ganz beiläufig gegen 15:40 Uhr als gerade die Titelmelodie von Beverly Hills-Cop lief, folgendes: „Der VfB hat im Kampf gegen den Abstieg einen Rückschlag hinzunehmen, der HSV geht durch Kajar (auch so eine Riesenrakete) mit 1:0 in Führung“ Einen Rückschlag??? So also… Junge, das ist der Abstieg und Du laberst was von Rückschlag. In der 27. Minute machte er es ein wenig wett, in dem er – ja fast schon emotional – den Ausgleich durch Gente verkündete. Ich hörte die Kameraden im Hintergrund kollektiv durchdrehen und auch ich qualifizierte mich wohl bei den Nachbarn einmal mehr als seltsamste Person der Dorfgemeinschaft. Als dann Harnik (zur Abwechslung mal) aus 3 Metern einnetzen konnte, kannte mein Jubel und sicher der im weiten Rund kein Halten mehr. Da der HSV eben o.g. Sensationskicker in seinen Reihen weiß, war auch relativ klar, dass nicht mehr so viel passieren konnte. Dass der HSV allerdings noch nicht mal einen Torschuss in den verbleibenden 65 Minuten hinbekommen sollte, zeigt schon auch ganz besondere Qualität. Umso seltsamer, dass die wieder drin geblieben sind. Ein hoch auf die Schalker, die wohl gar keinen Bock mehr auf Bundesliga hatten und am letzten Spieltag den HSVern die Relegation ermöglichten.
Noch ein Wort zum Thema Bock haben:
Dieter Schatzschneider, die Ikone des HSV aus Hannover, hatte schon sehr Recht als er den FC Bayern aus München mit einer Körperflüssigkeit verglich: Hatten diese doch nachdem Sie am 30. Spieltag Meister wurden, fünf (!) Pflichtspiele hintereinander verloren: Wenigstens waren dabei auch das CL-Halbfinale und das Pokes-Halbfinale, aber leider halt auch das Auswärtsspiel in Freiburg und in Leverkusen. Eines deutschen Meisters nicht würdig, ist diese Wettbewerbsverzerrerei. Erinnert mich ein wenig an die Bremer, die auch vor Urzeiten mal zwei Spieltage vor Schluss deutscher Meister wurden und dann nur noch im Vollrausch aufliefen und uns damals um den Europacup-Einzug brachten. Egal, Freiburg also nach dem Sieg gegen den FC Urin auf jeden Fall unerwartet mit satter Ausgangsposition für das letzte Spiel, geholfen hat es allerdings aber auch nicht wirklich viel. Wir hatten es nach dem Sieg gegen den HSV wieder selbst in der Hand. Sieg und wir bleiben drin, Niederlage und wir gehen runter und über allem schwebte das mögliche Damoklesschwert: Relegation gegen den KSC…


Also, Teil 3: Endspiel in Pades:
Wie Thomasi ausführlich berichtete, begab man sich also mit den jungen Wilden der Suebia gen Paderborn, manche mit dickem Geldbeutel, andere ohne Karte, aber jeder aufgeregt wie die Sau! Ich für meinen Teil, musste leider (zu Recht) auf Tickets verzichten, und auch der nicht vorhandene Schwarzmarkt in Pades hatte nix mehr über. Da zudem der Gästeblock besser abgesichert war als Fort Knox, entschloss man sich den Wetz in einem Steak-House an der Autobahn mit weiteren unerwünschten zu schauen (Danke, Ehinger fürs Organisieren und Weiter sagen…). Eine surreale Situation: etwa 80 bis 100 Stuttgarter, die sich alle dermaßen gut benahmen (Kompliment an alle Kadetten) und etwa 20 Gäste der Restaurants, die wahlweise Hochzeitstag oder Familienausflug feierten, sitzen im Restaurant und schauen Fußball oder verspeisen argentinische Hochlandrinder. Auch die Herren in grün waren sehr zuvorkommend und so konnten die letzten nervenaufreibenden 90 Minuten der Saison 2014/2015 beginnen. Und die hatten es wirklich in sich: Boten sie doch alles was in diesem Jahr passiert war, kondensiert auf 90 Minuten: Eine Abwehr, die nach 5 Minuten den Rechts außen nicht deckt, und das 0:1 kassiert. Einen kämpfenden VfB, der beste Chancen nicht macht, einen Daniel Didavi, der sich voll rein haut und verdient den Ausgleich macht, einen Maxim, der ein Riesenkicker ist und einen Ginczek, der dann einfach im Sinne der alten 33 einlocht. Kollektives Ausrasten im Stadion und im Steak-House. Jubelarien, vor Freude weinende Gesichter und einfach nur Erleichterung, dass es vorbei ist. Danke Szene, Danke Freunde!

Selbst nach ein paar Wochen Abstand, denke ich immer mehr, dass dieser Tag einer der wichtigsten für uns VfB-Fans sein wird. Wir als Kurve haben es wieder ein Mal geschafft, haben allen gezeigt, was wir gemeinsam hin kriegen, haben uns aufgrund unseren besonderen Situation der vielen kleinen Freundeskreise und der Akzeptanz eines jeden Anderen wieder ein Mal in einen Rausch gesungen und der Truppe vermutlich den letzten Kick gegeben. VfB Stuttgart, das sind wir!

Aber, bitte bitte nächstes Jahr nicht noch mal so eine Kraftanstrengung, lasst uns einfach nur mal einigermaßen beruhigt 10. werden. Um das zu erreichen, muss aber in der Pause hart gearbeitet werden. Es ist kein Zufall, dass wir innerhalb von zwei Jahren fast zwei Mal abgestiegen wären (übrigens genau so wenig beim HSV). Von der Position 1 bis zur 44 müssen wir uns überlegen, ob wir da die richtigen Leute haben: Sicher ist, wir haben keinen Linksverteidiger (gar keinen!) und rechts nur nen halben. Unser Torwart (so sehr ich ihn mag) kann eventuell durch Odisseas – wie er auch immer mit Nachnamen heißt – ersetzt werden. Die Viererkette ist bis auf Talent Baumgartl und Nationalspieler () Rüdiger ein Haufen Scheiß, rechts außen haben wir die Kampfsau Harnik, der halt net kicken kann. Dann so Stricher wie Ibisevic… Bitte räumt auf und macht es diesmal auch wirklich! Nur im Spiel nach vorne, sehe ich echt gute Ansätze: Didavi, Kostic, Ginczek, Gente, wenn ihm einer den Rücken frei hält ((shallalalalllaalaaa…..[Serrie serrie dee]) macht Hoffnung. Nur schade, dass dabei Maxim wohl auf der Strecke bleiben wird. Er und Dida zusammen auf dem Platz funktioniert wohl leider nicht, und nur als Backup für Didavi ist er eben auch zu gut.

Allen eine erholsame Sommerpause und betet den Rosenkranz, dass nächstes Jahr entspannter wird…